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Herbstblues? Union macht gute Laune

Die Erfolgsgeschichte des 1.FC Union ist ein Stimmungsaufheller für die dunkle Jahreszeit. 

Eine nicht enden wollende Pandemie. Der unmenschliche Krieg in der Ukraine. Klimawandel. Inflation. Energiekrise. Es gibt tausend gute Gründe für eine fette Herbst-Depression. Selbst die sommerlichen Temperaturen lassen bei mir eher ein sorgenvolles Tiefdruckgebiet aufziehen. Im T-Shirt zuzusehen, wie die Blätter vom Kastanienbaum in den Innenhof fallen? Surreal! Was tun, gegen den November-Blues? Ganz einfach. Ich schaue nach Köpenick. Der 1. FC Union ist der Stimmungsaufheller! Schlechte Gemütslage? Kennt man in der Wuhlheide derzeit nicht. Diese Mannschaft sorgt für positive Gefühlseruptionen, sollte als Blaupause dienen, in düsteren Tagen. Frei nach Schlager-Actrice Kerstin Ott: „Denn sie ist, denn sie ist – wie eine, die immer lacht!“

Jedes Spiel ein Lehrfilm, der für Gute-Laune-Momente in Dauerschleife sorgt. Fast jedes. Rückschläge wie das 1:2 in Bochum werden weggegrätscht. Mit eisernem Willen. Eiserner Leidenschaft. Eisernem Spaß. Die Alte Försterei ist ein Wellness-Tempel. Die Verwöhnangebote sorgen für die richtige Enstpannung, die gegen ein Gefühl der Erschöpfung helfen. Bier und Bratwurst als Aromatherapie. Jedes Tor eine Seelen-Massage. Das Gemeinschaftserlebnis als sprudelnder Whirpool der Emotionen. Jeder Sieg wirkt wie eine kollektive Frischzellenkur. Union als Wohlfühl-Oase der Bundesliga. Zum siebten Mal Platz 1 verteidigt. Durch den fulminanten Last-Minute-Wahnsinn gegen Borussia Mönchengladbach. Der entscheidende Treffer gelang Abwehr-Kante Danilho Doekhi in der 97 Minute! Tollhaus Köpenick. Mehr Exstase auf den Rängen geht nicht. Niemals aufgeben. Daran glauben. Weitermachen. Weiter. Immer weiter. „Diese verrückten Fans haben uns zum Sieg getragen“, befand Mittelfeld-Maschine Rani Khedira, der sich mit seinen überragenden Leistungen sogar in den WM-Fokus von Bundestrainer Hansi Flick spielte. Der treue Anhang und die Profis – ein untrennbares Band.

Ich will Ihnen von Helmut erzählen. Er ist seit Jahrzehnten leidenschaftlicher Union-Fan. Ich bekanntlich von Herha BSC. Regelmäßig nehmen wir uns auf den Arm. Frotzeln. Aus Spaß. Helmut sympathisiert auch mit Hertha. Ich umgekehrt mit den Eisernen. Dies war bei uns schon vor der Wende der Fall. Gelebte Fanfreundschaft. In letzter Zeit schickt Helmut nach jedem Spiel ein Bild von der Anzeigetafel aus der Alten Försterei. Ungläubig staunend. Wieder gewonnen. „Toppi, träume ich das alles nur?“ Nein, Helmut, das tust Du nicht!

Die großen Bayern zum ersten Verfolger geschrumpft. Spieltag für Spieltag. Keine Momentaufnahme mehr. Union bleibt Spitze. So sehr sich der Rekordmeister von der Isar auch bemüht, diese Schmach zu korrigieren. 

Eiserner Rausch. Alles so schön bunt hier. Im Spaß-Spa. DEM Bälleparadies des deutschen Fußballs, aus dem kein eiserner Anhänger abgeholt werden will. Union hat als Gegentwurf zum millionenschweren Establishment der Beletage ein Feuer entfacht. Das lichterloh brennt. Die Eisernen strotzen vor Energie und Glücksgefühl. Täglich grüßt das Murmeltier. Eine Überraschung jagt die nächste. Fast schon Routine. Dortmunds Trainer Edin Terzic brachte es nach dem 0:2 seines Starensembles auf den Punkt: „Jeder weiß, was sie tun, und keiner kann es verhindern.“ Das ist kein Zufall. Finde ich. Fußballerisch sind die Eisernen sicher alles andere als eine Spitzenteam. Aber in Sachen, Einstellung, Konzentration und Geduld das Maß aller Dinge. Das Kollektiv schlägt individuelle Klasse.  Gemeinsam sind wir stark. So das simple Motto beim Tanz auf drei Hochzeiten (Meisterschaft, Pokal, Europa). Kein Hexenwerk. Sondern knallharte Maloche.

Auf dem Platz steht eine verschworene Einheit, keiner nimmt sich zu wichtig, jeder erfüllt seine Aufgabe. Mit im wahrsten Sinne des Wortes eiserner Disziplin. Das ist vielleicht nicht die allerhöchste Kunst. Kein Bild mit dem Pinselstrich eines großen Malers. Aber als Gesamtwerk dennoch schön anzuschauen. Mit unorthodoxem Scouting und nur selten aufgeregter Beharrlichkeit entstand ein Team, das perfekt zusammenpasst. Eine märchenhafte Symbiose zwischen Urs Fischer und Mannschaft, den Vorstellungen des Chef-Übungsleiters und den Fähigkeiten seiner Truppe. „Fischer treibt uns wirklich jeden Tag ans Limit. Er schaut auf jedes Detail und spricht jede Situation im Training an“, erklärt Khedira. „Er lässt nie locker. Manchmal ist es nervig, aber wir lassen es auch zu, weil wir wissen, dass er uns alle besser macht“, ergänzt der 28-Jährige. Manager Oliver Ruhnert, dem tiefenentspannten Transfer-Genie, sollte als Kaderplaner sowieso eine eigene Ruhmeshalle gebaut werden. Seit knapp zwei Monaten thronen Unions Himmelstürmer auf dem Gipfel. Kann der Außenseiter wirklich Meister? „Wieso nicht? Sie machen es so gut und stehen so kompakt. Es ist so schwer gegen sie Torchancen herauszuspielen. Ich bin mir sicher, dass sie bis zum Ende oben mitspielen werden“, orakelt Gladbachs Marvin Friedrich, der noch bis Januar selber in Köpenick die Töppen schnürte.

Das beste im Leben ist, das zu tun, wovon alle anderen sagen, man schafft es nicht. Eine kluge Weisheit. Die zwar aus jedem chinesischen Glückskeks stammen könnte. Aber sehr viel Wahrheit in sich trägt. Die schönsten Dinge entstehen unerwartet. Der 1.FC Kaiserslautern 1998, Griechenland 2004 oder Leicester City 2016 lassen grüßen. Wenn der Haupstadt- David die Goliaths der Branche wie am Fließband verzwergt, schlägt das Herz eines Fußball-Fans vor Freude so schnell wie die Flügel eines Kolibris. Auch bei mir, als bekennender Fan des meilenweit abgehängten Lokalrivalens Hertha BSC. Das Theater der Träume steht nicht im Westend, sondern an der Wuhle. Das muss ich mir eingestehen. Sensationen sind das Salz in der Suppe. Es hat ganz einfach seinen Reiz, wenn der Kleine den Großen ein Bein stellt. Weil sich viele aus ihrem eigenen Alltag heraus mit der Rolle des Underdogs identifizieren können, der ab und zu gegen die Mächtigen zu kämpfen hat. Und gewinnt. Auch deshalb ist Union ein leuchtender Fixstern im Dunkel der globalen Krise. An dem man sich festhalten kann. Wenn man voller Hoffnung reüssiert: Wunder gibt es immer wieder. Was für die Konkurrenz einen schalen Beigeschmack haben dürfte. Einen meisterschalen. 

Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Das nächste Wunder. Auch das Abenteuer Europa League geht weiter: Union ist mit einem Sieg im letzten Gruppenspiel in die Zwischenrunde eingezogen. 1:0 beim belgischen Vizemeister Royale Union St. Gilloise. Sven Michel (6.) beförderte die Eisernen mit seinem Treffer in die Play-off-Runde. Darin trifft Union am 16. und 23. Februar in Hin- und Rückspiel auf einen der Gruppendritten der Champions League und kann das Ticket für das Achtelfinale lösen. Die nächsten Fußball-Feste für die Ewigkeit warten. Die Köpenicker könnten es mit dem FC Barcelona, Juventus Turin oder dem FC Sevilla zu tun bekommen. Juve? Barca? An der Alten Försterei? Ich muss mich kneifen! Urs, der Menschen-Fischer, kann den Lauf seiner Mentalitäts-Monster kaum fassen. Die pure Effizienz zeigen: „Mit 4 Toren 12 Punkte geholt. Wahnsinn. Wirklich!“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Doch, das Fazit von Helmut: „Ich bin überglücklich!“

Bild: picture alliance/dpa | Andreas Gora