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Fußball-Nationalmannschaft: Ende eines Mythos!

Unser Autor verfolgt seit 50 Jahren die Fußball-Nationalmannschaft der Männer. Es war nicht immer alles schön. Aber fast immer erfolgreich. Ein von der Welt gefürchteter Mythos, von dem Jugendliche bald nur noch in Geschichtsbüchern lesen, wenn sich nicht schnellstens etwas ändert. Vom Weltmeister zum Sorgenkind in nur neun Jahren. Viele träumten nach dem Titel 2014 von einer Ära. Von wegen. Keine Einheit. Keine Lösungen. Keine Klasse. Mehr Tiefpunkt geht nicht. Findet fassungslos Ronald Toplak. 

Deutschland hatte auch früher Mannschaften mit limitierten Talent. Was aber durch Kampf, Willen und Leidenschaft ausgeglichen wurde. Wie sagte Mario Basler: „Die Gegner haben sich schon in die Hosen gemacht, wenn wir auf den Platz gelaufen sind.“ Die so genannten deutschen Tugenden gehen der aktuellen DFB-Auswahl vollkommen ab. Rumpelkicker wurden die DFB-Kicker einst genannt (82, 86). Na und? In jedem Buchstaben schwang die Ehrfurcht der Rivalen mit. Denn gewonnen haben sie trotzdem. Das schaffte Respekt. Ja, Bewunderung. Es gab schlechte Turniere (78, 84, 94, 98, 2000, 2004). Aber es folgte fast immer eine Reaktion (80, 86, 96,, 2002, 2006). Die aktuelle Generation ist die erste, die überhaupt keinen Erfolg mehr kennt. Das gab es in einer so lange andauernden Periode noch nie.

„Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten einen Ball und am Ende gewinnen immer die Deutschen“, so der legendäre Spruch des ehemaligen englischen Nationalspielers Gary Lineker. Das war einmal. Das Erfolgs-Abo ist abgelaufen. Mythos Turniermannschaft. Er wird im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten. Das belegt die Bilanz bei Welt- und Europameisterschaften seit der EM 2016. In zehn Spielen hat die deutsche Elf nur drei Mal gewonnen, zwei Mal Remis gespielt und fünf Mal verloren. Seit 2018 folgt ein Desaster nach dem anderen. Dereinst kam es einer nationalen Katastrophe gleich, wenn die Nationalmannschaft im Viertelfinale ausgeschieden ist. Heute wäre der DFB froh, überhaupt so weit zu kommen. Einst haben sich Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft oft für den DFB entschieden, weil Erfolg im Prinzip garantiert war. Vergangenheit. Ein Jamal Musiala zum Beispiel dürfte sich inzwischen richtig ärgern, nicht die drei englischen Löwen statt des Bundesadlers auf der Brust zu tragen. Dennoch gehört ihm Gegenwart und Zukunft. Als einer der wenigen Hoffnungsträger. 

Eine große Baustelle ist das Sturmzentrum. Ob Max Morlock, Helmut Rahn, Uwe Seeler, Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge, Klaus Fischer, Horst Hrubesch, Rudi Völler, Jürgen Klinsmann oder Miroslav Klose. Wir haben keine Knipser mehr. Deutschland fehlt es aber nicht nur im Sturm an Qualität, auch die Defensive bereitet seit Jahren Sorgen. „Kaiser“ Franz Beckenbauer, der Erfinder des Liberos, Georg „Katsche“ Schwarzenbeck, Paul Breitner, Karlheinz Förster, Andreas Brehme, Klaus Augenthaler, Jürgen Kohler, Matthias Sammer, Jerome Boateng, Philipp Lahm. Hart. Aber fair. Sie taten Stürmern weh, auch wenn sie gar nicht foulten. Es gab diese Haudegen zu allen Zeiten. Ein gefürchtetes Markenzeichen der DFB-Teams. Solche Abwehr-Spezialisten findet man inzwischen nur noch in Sammel-Alben. Oder sie sind zu alt (Mats Hummels). Sie besaßen ein Gespür für dieses Spiel, das weit über das Image des knochenharten Verteidigers hinausreicht. Ich selbst trug einst als Spieler stolz die Rückennummer 4. Försters heilige Zahl. Der Orden des Vorstoppers. Heute würde ich mich schämen, mit Protagonisten des Defensiv-Verbundes in Zusammenhang gebracht zu werden. 

Der aktuelle Kader hat vielleicht eine größere fußballerische Qualität als viele Sportgemeinschaften  vergangener Zeiten. Die Profis, bis auf wenige Ausnahmen alle bei Weltklasse-Klubs unter Vertrag, können jeden Gegenspieler in der Telefonzelle ausspielen. Das Potenzial ist da. Davon bin ich überzeugt. Aber eines fehlt den frisch frisierten, millionenschweren Gelfrisuren der Generation Z: Mentalität! Viel zu brav und bieder. Monoton. Steril. Auch und vor allem ein Problem der Ausbildung. In genormte Spielsysteme gepresste Klone, denen jegliche Individualität fehlt. Die Lust am Spiel wird genommen, in ein Gefängnis geworfen. Kreativität hinter Gittern sozusagen. 

Was ist passiert? Nach dem Desaster bei der EM 2000 (Scheitern in der Gruppenphase, erinnern Sie sich noch an Erich Ribbeck und das Sakko von Uli Stielike) wurde alles auf den Kopf gestellt. 2008 U19-Europameister, 2009 gewannen die U17 und U21 den kontinentalen Titel. Letztere als Grundstock für die späteren Weltmeister 2014. Der damalige Uefa-Boss Michel Platini lobte: „Deutschland hat alles richtig gemacht.“ Aber man ruhte sich überheblich auf dem Erfolg aus, verpasste eine Weiterentwicklung. Innovationen? Fehlanzeige! Geschult in den Fußballinternaten der Republik, sind die dort indoktrinierten Hochglanz-Posterboys nicht „fürs Grobe“ zu gebrauchen.

Ein Peter Briegel konnte wahrscheinlich nicht den Ball 100 Mal in der Höhe halten. Aber vor ihm hatte sogar der Rasen Angst, hinter ihm wurde das grüne Geläuf zu Schotter, ließ das runde Leder freiwillig die Luft raus, bevor es von der „Walz aus der Pfalz“ getreten wurde. Ackern. Rackern. Malochen. Ist nicht mehr, bei den am Fließband gezeugten Schöngeistern dieser Tage, denen Alltagsdinge viel zu banal sind. Wahrscheinlich passt den verwöhnten Ball-Jongleuren die Work-Life-Balance nicht. Verlierern wird  zur Normalität. Déjà-vu-Feeling. In Endlosschleife. Selbst gegen durchschnittliche Teams. Ungewohnt. Ernüchternd. Frustrierend. Aber bittere Realität. Man schaut ohnmächtig zu. Oder auch nicht. Im Beliebtheits-Ranking dürfte die DFB-Elf knapp hinter Dieter Bohlen stehen. In einem Jahr ist Heim-EM. Ein Sommermärchen scheint utopisch. Die Weltspitze ist nur mit dem Fernglas zu sehen. Daran ändern offenbar auch die durchaus beachtlichen Triumphe der U21 (EM 2017 + 21, Platz 2 2019) wenig. Besserung im von Bundestrainer Hansi Flick gebetsmühlenartig formulierten „Prozess“ ist nicht in Sicht. Leider. Die Völlerei hat ein Ende. In Sachen Jubel sind wir auf Nulldiät gesetzt. Ich habe fertig! Halt, nicht ganz. Eine Frage hätte ich noch: Wie wäre es denn mal mit einer Bundestrainerin? Mir würde da spontan ein Name einfallen: Martina Voss-Tecklenburg.

Foto: picture alliance / Joaquim Ferreira | Joaquim Ferreira