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Special Olympics: Berlins wahre Loveparade!

Die Special Olympic World Games sind zu Ende. Ein Spektakel, das verzauberte. Unser Autor Ronald Toplak ist immer noch im Bann der Ereignisse, gefangen in einem Füllhorn der Emotionen. Berlin hat Maßstäbe gesetzt. Die Loveparade wurde neu erfunden. Rave the planet: Inclusion is the answer.

Es war ein Fest der Freude. Der Fröhlichkeit. Der Verbundenheit. Höher. Weiter. Inklusiver. Das wurde in Berlin bei den Special Olympics World Games, der weltweit größten Sportveranstaltung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Beeinträchtigung, sichtbar. 6500 Athletinnen und Athleten traten miteinander in 26 Sportarten an. Ich betone: Miteinander. Sicher, gewinnen wollten alle. Aber ein Gegeneinander gab es nicht. Es zählte nur das olympische Motto: Dabei sein ist alles. Auch für die 1200 Unparteiischen sowie die 20000 freiwilligen Helferinnen und Helfer. Berlin umarmte alle. Und alle Berlin. Insgesamt besuchten mehr als 330 000 Zuschauer das Mega-Event. Beifallsstürme und ausgelassene Partystimmung kennzeichneten die Spiele.

Was für ein Signal! Berlin hat Mauern eingerissen. Wieder mal. Der Sport schaffte, was im Alltag längst nicht immer gelingt: Barrieren abzubauen. Anschauen oder wegschauen: Das ist für viele eine Millisekunden-Entscheidung, wenn sie auf der Straße oder im Café Menschen mit Behinderung begegnen. Berührungs­ängste und Unsicherheit sind oft der Grund. Ich nehme mich da nicht aus. Auch ich habe Bekannte, die ihr Leben zum Beispiel im Rollstuhl verbringen. Oder etwa eine Lernschwäche haben. Ich erwische mich immer wieder dabei, gegenüber diesen Menschen betont locker sein zu wollen. So will ich eigentlich Normalität unterstreichen, bewirke aber genau das Gegenteil, weil ich mit meinem unbewusst gekünstelten Auftreten ausgrenze. Ich werde mich bemühen, mein Verhalten zu ändern

Womit sich für mich die Frage der Nachhaltigkeit stellt. Die Tage in Berlin waren schön. Eine Untertreibung. Sie waren wunderschön. Von einer Herzlichkeit geprägt, die überwältigte. Liebenswürdigkeit strahlte vom zumeist blauen Himmel. Die Hauptstadt badete in Harmonie. Ein buntes, friedliches Spektakel. Mit einer unglaublich ansteckenden Energie. Eben Freude pur. In jedem Stadion. An jeder Strecke. In jeder Halle. Auf jedem Platz. Gänsehaut. Magie. In Endlosschleife. Janz Balin war verzaubert. 

Aber was passiert ab heute? Wenn die Sportler nach Hause reisen? Die mediale Aufmerksamkeit nicht mehr da ist? Wird jetzt alles anders? Gibt es mehr Inklusion, wenn die Tribünen aus dem Stadtbild verschwunden sind? Vor allem: Bin ich selbst bereit, in meinem Leben wirklich etwas umzustellen?

Raus aus der Isolation. Weg mit den Scheuklappen. Menschen mit geistiger  Beeinträchtigung sind im Alltag immer noch kaum bis gar nicht sichtbar. Dabei gibt es allein in Deutschland über 1,7 Millionen Betroffene. Mein Freund Klaus arbeitet als Hausmeister in der Lebenshilfe. Obwohl „arbeiten“ die falsche Formulierung ist. Dort geht er in seinem Beruf auf. Denn die Wohneinrichtung für Menschen mit Beeinträchtigung ist mehr. Sie bedeutet Familie. Freundschaft. Liebe. Zusammenhalt. Dort erlebt er Glücksmomente, die mit keinem Geld der Welt zu bezahlen sind. Sagt er. Unverfälschte, aufrichtige Dankbarkeit. Das schönste Geschenk. Etwa, als die Hausgemeinschaft samt Betreuern zu einem Spiel von Hertha BSC ging. Organisiert von Norbert, dem ehemaligen Chef unserer Stammkneipe um die Ecke, der für sein soziales Engagement schon ausgezeichnet wurde. Ich habe damals beim Berliner Kurier darüber geschrieben. Ich werde die glücklichen Gesichter nie vergessen.

Das Gebäude der Lebenshilfe ist nur 5 Minuten Fußweg von mir entfernt. Und doch war ich nur zwei Mal zu Besuch. Obwohl ich fast alle Mitarbeiter der Einrichtung kenne, die Bewohner täglich sehe. Auf der Straße. Im Bus. Oder im Supermarkt. Sie sind mitten unter uns. Ganz nah. Und doch so weit weg. Unsichthörbar! In der Tat, das ist mir jetzt etwas unangenehm. Macht mir aber deutlich, wie wichtig es ist, im Alltag einen Blick über den oft sehr hohen Schutzwall der eigenen Komfortzone zu riskieren.

Abseits der perfekt durchorganisierten Special Olympics muss mehr passieren, als nur für etwas mehr als eine Woche darüber zu reden. Oder zu berichten. Jung und Alt, Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, egal welcher Herkunft. Alle machen unsere Gesellschaft lebendiger. Angst weicht Akzeptanz. Auf beiden Seiten. DAS bedeutet Inklusion. Unbeatable together – unschlagbar zusammen! DAS war die Botschaft. Dass es da draußen viel Überraschendes zu entdecken gibt, haben die Tage vom Berlin bewiesen. Ich hoffe, dass dieses Gefühl nicht wieder in den Tiefen des anonymen Menschenmeeres der hektischen Millionenmetropole untergeht. Wenn wir Anderssein als positive Gelegenheit begreifen, ein vorurteilsfreies Bewusstsein gegen Ausgrenzung entwickeln. Dann ist Inklusion nicht mehr signifikant ein Zeichen von Philanthropie. An erster Stelle steht dann der Spaß. 

Mut, Zuversicht, Engagement, Rücksichtnahme. Christiane Krajewski, Präsidentin von Special Olympics Deutschland, brachte es auf den Punkt. Die Abschlussfeier am Brandenburger Tor müsse der Beginn für  „die nächste Etappe“ sein. Letztlich geht Inklusion jeden etwas an, wir sind alle Betroffene. Gelebtes Leben. Geliebtes Leben. Raum für alle. Im Vielerlei. Das ist eine Chance, von der alle profitieren können. Wenn wir nur wollen! Um es mit der offiziellen Hymne der Spiele von Madcon zu sagen: Are you ready?

Lesen Sie auch den Erlebnis-Bericht unserer Nachwuchs-Reporterin Lena Wohlfarth (18).

Foto: picture alliance / nordphoto GmbH / Engler | nordphoto GmbH / Engler