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Unsterbliche Momente: Das schafft nur Olympia!

Man hatte es gehofft. Aber realistisch nicht daran geglaubt. Der Gold-Traum der deutschen Skilangläuferinnen ist Wirklichkeit geworden: Katharina Hennig und Victoria Carl sind in Peking sensationell zum Olympiasieg im Teamsprint gestürmt. Zwölf Jahre nach dem Triumph von Evi Sachenbacher-Stehle und Claudia Nystad in der gleichen Disziplin gab es wieder einen goldenen Triumph für das lange gebeutelte Langlauf-Team. 

Für mich ist es aus deutscher Sicht DIE Überraschung der Winterspiele. Am Ende wollte ich gar nicht mehr zuschauen, mich nicht ärgern, wenn Bronze verloren geht. So sah es nämlich fast aus. Ich tippte lustlos auf meinem Handy herum, verschickte belanglose Nachrichten. Mit einem halben Auge schaute ich aber doch auf den Fernseher. Plötzlich realisierte ich, dass die DSV-Läuferin im Sprint an der Konkurrenz vorbeizieht. Ich hob den Kopf. Wollte es nicht glauben. Ist es die Deutsche, die da alle in Grund und Boden läuft? Ist das wirklich wahr? Carl? Ausgerechnet Carl? Die für die eigentlich gesetzte Katherine Sauerbrey eingesprungen war, weil die sich nicht ganz fit fühlte. Sie war es! Hurraaaa! Gold. Was! Für! Eine! Sensation! Damit haben nur die kühnsten Enthusiasten gerechnet. „Auf der Zielgeraden habe ich nur gedacht: Schieb! Schieb! Schieb!“, strahlte Carl, die Große. Schiebung im allerbesten Sinne. Gänsehaut!

Ich warf mein Smartphone auf die Couch. Hatte ich das alles nur geträumt? Ich wischte mir die Augen, kniff mich. Ich war wach. Und schüttelte fassungslos immer wieder den Kopf. Fast hätte ich einen historischen Augenblick verpasst. Ich. Der ewige Defätist. Pessimist. Skeptiker. Umso größer war meine Freude. Das sind genau die goldenen Momente, die man nur bei Olympia erleben kann. Die einem Sport-Nerd wie mir immer in Erinnerung bleiben.

Wie 1984, als die Briten Jayne Torville und Christopher Dean in Sarajevo für ihre Kür von den Punktrichtern im Eiskunstlauf zwölfmal die Traumnote 6,0 bekommen. Perfektion in vollkommener Harmonie. Sofort klingt mir der Bolero im Ohr.

Lake Placid, 1980, die Mannschaft der UdSSR galt im Eishockey als unschlagbar, doch dann entzauberte ein College-Team der USA die „Red Army“ mit 4:3. Das „Miracle on Ice“. Unvergessen auch Kati Witt als Carmen, im knallroten Kleid, mit strengem, dunklem Haarknoten, blutroten Lippen und tiefschwarz umrandeten Augen. Gold 1988 in Calgary. 

Gold-Rosi? Mittermaier, die 1976 in Innsbruck Abfahrt und Slalom gewann, Silber im Riesenslalom holte. Zudem noch Bronze der Eishockey-Herren. Legendär. Oder die fünfte Goldmedaille der famosen Eisschnelllauf-Königin Claudia Pechstein 2006 in Turin. Nicht zuletzt das Silber-Wunder der deutschen Puck-Giganten 2018 in Pyeongchang. 

Peter Schlickenrieder, der Langlauf-Bundestrainer, heulte nach dem genialen Coup wie ein Schlosshund. Seine Mädels holten an seinem 52. Geburtstag Gold. Kann es ein besseres Geschenk geben? Wohl kaum! Da hatte auch ich ein paar Tränen in den Augen. „Das ist ein brutaler Traum. Ich könnte wahrscheinlich den ganzen Tag heulen. Realisieren wird man das wohl erst in 10 oder 20 Jahren. Mehr geht nicht. Die Lounge wird heute geflutet!“, schluchzte der mit allen Wassern gewaschene Oberbayer. Unsterbliche Augenblicke, die dann dann doch das olympische Feuer weiter in mir lodern lassen. Obwohl ich mir mehrfach geschworen habe, es zu löschen. Wegen Gigantismus. Korruption. Politik. Emotionaler Bann. Weil diese Sekunden des Glücks mein Herz berühren. Ich kann mich einfach nicht dagegen wehren. Sie sind so schön. Zu schön. Wunderschön. Ja, ich habe ein Herz aus Bronze, Silber und Gold!

Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Aaron Favila