Zum Inhalt springen

Deutschland steht Kopf. Die DFB-Damen starten mit einem souveränen 6:0 gegen Marokko in die WM in Australien und Neuseeland. Eingeleitet wurde der klare Erfolg mal wieder von Alexandra Popp, die im Kopfballspiel einfach nicht zu verteidigen ist. Sie ist die verbesserte Version ihres Ex-Trainers, Mentors und Freundes: Horst Hrubesch 2.0.

Ja, ich spüre schon den Windzug des Kopfschüttelns einiger Experten. Ich höre ihn, den Aufschrei. Das Entsetzten. Das Kopfballspiel. Nicht mehr zeitgemäß. Zu gefährlich. In England, dem „Mutterland des Fußballs“, ist es seit Anfang 2020 sogar verboten. Zumindest für den Nachwuchs. Kinder zwischen sechs und elf Jahren dürfen im Training den Ball nicht mit dem Kopf spielen. Das ist auch gut so. 

Und doch gehört es dazu. Das Kopfballspiel. Zum Fußball. Manch einer wurde durch den Einsatz des exponierten Körperteils zur Legende. Uwe Seeler etwa. Unvergessen sein Treffer mit dem Hinterkopf im Viertelfinale der WM 1970 gegen England. Vor allem aber Horst Hrubesch perfektionierte das Kopfballspiel zur Kunstform: „Manni Flanke, ich Kopf, Tor!“ Mehr gab es über die „Tor-Formel“ des Hamburger SV in den 80er-Jahre nicht zu sagen. Manfred Kaltz zirkelte eine seiner genialen Bananenflanken in den Strafraum, Hrubesch köpfte den Ball in die Maschen, fertig. So einfach war das. Allein seine bloße Anwesenheit sorgte bei den gegnerischen Abwehrreihen für Panik. Wie im EM-Finale 1980, als er das Leder zum 2:1-Siegtreffer gegen Belgien ins Netz wuchtete. „Habt ihr das gesehen?“, rief mein Onkel jubilierend aus Bonn bei meinem Vater und mir in Berlin an. Natürlich. Hatten wir. 

Wenn Hrubesch zum Kopfball hochstieg, wurde er zum „Ungeheuer“. Towart-Ikone Sepp Maier traute ihm sogar das Unmögliche zu: „Er wird der Erste sein, der einen Freistoß direkt mit dem Kopf verwandelt“, grinste der Weltmeister schelmisch.

Alles Kopfsache. Die Nation hat wieder ein Kopfball-Ungeheuer: Alexandra Popp. Eine Hrubesch 2.0. Beim begeisternden WM-Auftakt schaffte sie einen Doppelpack. Natürlich per Kopf. Das 2:0 nickte sie dabei artistisch, wie von Zauberhand gesteuert, quer über der Grasnarbe liegend, mit dem Hinterkopf ein. Die Grundidee des Fußballs, sie wird von „Poppi“ konterkariert. „Am stärksten bin ich mit dem Kopf. Egal in welcher Höhe“, strahlte sie nach dem Spiel. Einmal mehr hat sie diese Qualität unter Beweis gestellt. „Das löst auch bei den Gegnern etwas aus“, sagte Martina Voss-Tecklenburg. „Das ist eine Waffe“, erklärte die Bundestrainerin. 

„Ich war früher schon mit meinem Papa ziemlich oft am Kopfballpendel. Ich habe viel geübt. Man trainiert sich so ein gutes Timing an“, lüftete Popp ihr Geheimnis. „Das Biest“, wird sie von ihren Mitspielerinnen ehrfurchtsvoll genannt. Mit körperlicher Präsenz, Willen und unbändigem Einsatz ist die Kapitänin Symbolfigur der deutschen Mannschaft. Stark ist, wer seine Stärken kennt. „Sie ist ein Typ. Und man kann ein Turnier nur mit Typen ge­winnen“, so Voss-­Tecklenburg. Stimmt. Diese „Typen“ haben oft Geschichte geschrieben und mit ihrer Leidenschaft die Fans mitgenommen. Als Popp-Star wurde sie nach der Vizeeuropameisterschaft im vergangenen Jahr gefeiert. Dabei ist sie alles andere als Mainstream. Sondern einzigartig. Star­-Allüren? Kennt sie nicht. Sie hebt nur auf dem Rasen ab. Mit Links zeigt sie dann nach jedem Treffer eine Telefongeste und den rechten Zeigefinger gen Himmel. „Ein Zeichen für meine Familie und Freunde – wie E.T. nach Hause telefonieren.“ Dann wird sie emotional: „Derjenige, der abgenommen hat, ist mein Vater.“ Popps Vater Andreas war im Dezember 2022 im Alter von 62 Jahren verstorben.

Bodenständigkeit. Bescheidenheit. Kumpeltyp. Auch diese Wesensmerkmale hat sie mit Hrubesch gemein. Man kennt sich gut. Schließlich war Hrubesch 2018 nach der Trennung des DFB von Steffi Jones interimsmäßig Cheftrainer der deutschen Frauen, ehe ihn dann die aktuelle Bundestrainerin ablöste. Wie Hrubesch ist Popp kein Entertainer, der sich in der Öffentlichkeit präsentieren will. Sie ist wie er eine Frohnatur, die ihre freie Zeit gerne mit der Familie, in der Natur verbringt und Tiere liebt. Das verbindet. „Es gibt wenige Spielerinnen auf der Welt, die ähnliche Qualitäten haben wie Alex Popp. Sie ist ja nicht nur kopfballstark. Auch mit ihrer tollen Einstellung ist sie für jede Mannschaft ein Gewinn“, adelte der Altmeister den Star. Die gab das Lob zurück. „Er will, dass du versuchst, die zwei, drei Tipps, die er dir gibt, zu 100 Prozent umzusetzen.“ Popp als Hrubesch 2.0. Vielleicht gelingt ihr ja, was ihrem Ex-Coach verwehrt blieb. Einen Freistoß direkt zu verwandeln. Per Kopf. Zuzutrauen wäre es ihr. Beim Turnier in Down Under. Die WM steht „Kopp“. Auch wegen Alexandra Popp. Ich gebe es zu: Ich habe Kopfkino.

Foto: picture alliance/dpa | Sebastian Christoph Gollnow