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Fabian Klos: Leuchtturm im Pyro-Nebel

Während RasenBallsport Leipzig 2009 gegen Eintracht Frankfurt verdient seinen Titel als DFB-Pokalsieger verteidigte, noch ein paar Gedanken zur Zweitliga-Relegation, zum Absturz des Traditionsklubs Arminia Bielefeld. Und einen Gewinner unter Verlierern: Fabian Klos. Ich hatte ob der traurigen Bilder einen Klos im Hals.

Die Tränen flossen in Strömen: „Mein Sohn ist heute ein Jahr alt geworden, dafür habe ich das verpasst.“ Fabian Klos am Ende eines Desasters. Er ist die Ikone von Arminia Bielefeld. Sein Team steht sportlich am Abgrund. Ein Jahr nach dem Bundesliga-Abstieg wird der Sturz in die Drittklassigkeit kaum zu verhindern sein. Beim SV Wehen Wiesbaden setzte es im Relegations-Hinspiel eine 0:4-Klatsche. Vorgeführt. Gedemütigt. Bloßgestellt. Menschlich schaute er in den lodernden Schlund der Hölle. Beim Blick auf den eigenen Fan-Block. Eine sich beängstigend aufbauende Drohkulisse. Der geballte Zorn der Arminia-Anhänger entlud sich bereits während des Spiels. Angesichts des nahezu sicheren Abstiegs flogen immer wieder Böller aus dem Gästeblock. Die Sicherungen brannten durch. „Wir haben die Schnauze voll“, „wir sind Arminen und ihr nicht“ und „außer Fabi könnt ihr alle gehen“, schrien die Fans. Die Toleranz war aufgebraucht. Einige versuchten den Zaun zu durchbrechen und auf das Spielfeld zu gelangen. Was für hässliche Momente! Szenen, die kein Fan sehen will! Ich saß fassungslos vor dem TV.

Schiedsrichter Benjamin Brand schickte die Mannschaften in die Kabine. Klos hockte derweil auf dem Rasen. Allein. Minutenlang. Geschockt. Tränenüberflutet. Man litt mit ihm. Ich hatte einen Klos im Hals. Am liebsten hätte ich dieses Häufchen Elend, das seit 2011 für die Arminia spielt, Aufstiege erlebt und Tiefschläge eingesteckt, hat, in den Arm genommen. Er rappelte sich auf. Immer wieder ging er zum rasenden Mob, stellte sich der hässlichen Fratze der Aggression entgegen. Einem Inferno aus Flammen, Rauch und Wut. Immer wieder. Er dachte nicht an sich. Nur an den Klub, der sein Leben bedeutet. Den er seit 12 Jahren als Spieler personifiziert. Nicht nur durch seine Tore. Sondern vor allem seine Persönlichkeit. Er war sich nicht zu schade, selbst abgebrannte Feuerwerkskörper vom Rasen zu sammeln. Sein mutiges Auftreten verhinderte eine totale Eskalation der Situation. 

Er sank im Mittelkreis in sich zusammen. Kopf schüttelnd. Weinend. Desillusioniert. Sein Mund bewegte sich. Unaufhörlich. Selbstgespräche. Eingetaucht in beißenden Gestank und Nebelschwaden bengalischer Feuer. Stilles Klagen im Nichts der Hilflosigkeit. Es wirkte wie der Versuch, unter Wasser zu schreien. 22 Minuten dauerte das Martyrium des Kapitäns. Eine im wahrsten Sinne des Wortes gefühlte Ewigkeit. Dann wurde die Partie doch noch einmal angepfiffen. Eine Farce. Eigentlich. Schluss. Endlich. Das Gesicht von Klos war gezeichnet. Vom Schmerz. Ein Lebenswerk – so pathetisch kann man das aus der Perspektive des 35-Jährigen formulieren – lag in Trümmern. Er fuhr sich immer wieder mit der Hand über die Augen, schnell, verstohlen. Er presste die Lippen zusammen, klammerte die Hände ineinander. „Es gibt noch ein Rückspiel. Danach müssen wir über alles reden. Alles!“ Dann verschwand er in den Katakomben. Jeder normale Sportfan spürte sein Schluchzen, seine zitternde Stimme, wie Stiche im Herz, fühlte sich in den diabolischen Moloch hineingezogen. 

Eine Welt brach über ihm zusammen. Ich kenne das Gefühl der Machtlosikeit. Wenn die Hoffnung dem Körper entweicht. Aber nur im Kampf gegen die eigenen Dämonen. Klos kämpfte gegen den Untergang eines ganzen Klubs. 1. 2. 3. Vorbei?! Sein Verein wird mutmaßlich durchgereicht. Sportlich sowieso. Das Rückspiel dürfte nur noch Makulatur sein. Wirtschaftlich auch. Die Existenz des DSC ist massiv bedroht, der Frust der Fans verständlich. Die Art und Weise, diesen auszudrücken, nicht. Hass und Gewalt sind nie ein Ventil. Klos fand klare Worte. Seine Abrechnung – brutal. „Ich kann nicht genau das sagen, was ich denke oder fühle als Kapitän. Ich kann mich aber nicht vor die Mannschaft stellen. Man muss ihr zurecht den Charakter absprechen. Es geht ja in dem Moment um das Bild, was der Verein abgibt. Das ist mein Verein.“ Dann versagte ihm die Stimme. Gleichzeitig fragte er: „Soll ich sauer auf die Fans sein? Kann ich nicht.“

Klos kapitulierte nicht, verhinderte einen Abbruch, Platzsturm und viel Schlimmeres, weil er mit den Chaoten diskutierte, im Alleingang schaffte, Ruhe hereinzubringen. Er appellierte an die Vernunft. „Das war unfassbar schwer. Gott sei Dank ist niemand zu Schaden gekommen, soweit ich weiß“, sagte er angesichts der Blamage in allen Bereichen. Ich kenne Bielefeld. Nicht nur als Raucherpause bei ICE-Fahrten. Das Stadion. Die Stimmung auf der legendären Alm. Die Stadt. Die sich mit ihrer Armina identifiziert. Freunde von mir hatten dort ein Restaurant. Der typische Ostwestfale gilt als wortkarg, redescheu. Umso wichtiger ist es, dass man ihn versteht, wenn er zur Abwechslung doch mal etwas sagt. Heißt es. Das Bild von Krawallen und Gewalt zeichnet ein falsches Bild der Mentalität eines eigentlich friedvollen Menschenschlages. Und doch ist es erstmal in unseren Köpfen manifestiert. 

Held. Das ist ein großes Wort. Ich gehe mit dieser Formulierung vorsichtig um. Aber ein Vorbild, das war Fabian Klos inmitten des Pyro-Wahnsinns, der Schande. Vorbilder übernehmen Verantwortung, machen sich die Hände schmutzig und riskieren heutzutage in den Sozialen Medien zerrissen zu werden. Die Gesellschaft braucht Vorbilder und Leitfiguren, die Wege aufzeigen und Werte vermitteln. Diese Leuchttürme werden in Zeiten der Influencer immer weniger. Diese haben zwar häufig unzählige Follower, machen schöne Fotos oder Filmchen. Doch zeigen sie die Realität? Sind sie echt? Nein! 

Fabian Klos ist echt. Lebt in keiner künstlichen Blase. „Ich bin authentisch und ich will authentisch bleiben.“

Richtige Vorbilder sind selten. Menschliche Vorbilder dürfen Fehler und Schwächen zeigen. Menschen müssen nicht perfekt sein, sondern ehrlich. Wir brauchen Vorbilder, die uns nichts vorspielen. Menschen, die sich transparent, berechenbar und glaubwürdig zeigen. Menschen wie Fabian Klos. Er ist Publikumsliebling auf der Alm. Durch sein Auftreten in Wiesbaden wahrscheinlich auch in ganz Deutschland. Man sollte sein Verhalten verinnerlichen. Wahrheit, Vergebung, Versöhnung, Haltung. „Ich höre so nicht auf. Es ist mein Verein“, bekräftigte er ohnmächtig. Klos ist ein Leuchtturm. Auch in der bittersten Niederlage. Der einzige Gewinner unter Verlierern. Ja, jetzt schreibe ich es doch, ein Held!

Foto: picture alliance/dpa | Jörg Halisch