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Hertha BSC: Auf der Suche nach sich selbst!

Bild: picture alliance / contrastphoto | O.Behrendt

Unser Autor Ronald Toplak verfolgt mit Entsetzen die Entwicklung seines Herzensklubs Hertha BSC. Lars Windhorst, Fredi Bobic, drohender Abstieg. Die alte Dame ist eine Leidenschaft, die Leiden schafft. Pleiten. Pech. Und Pannen. Immer! Woche für Woche eine Klatsche nach der anderen. Zumindest darauf kann man sich verlassen. Jede Saison tut er sich Chaos und fatales Gekicke aufs Neue an. Warum? Eine gute Frage. Es ist nicht leicht, diese suspekte Hingabe zu erklären.

Ich dachte eigentlich immer, dass der 24. Juni 1987 der schwärzeste Tag in meiner Historie als Fan von Hertha BSC wäre. Rückblende: Mein Klub war in die Oberliga abgestürzt. Wir tingelten über die Bolzplätze West-Berlins. Auswärtsfahrten mit der U-Bahn. Es ging gegen Tennis Borussia, Rapide Wedding, Tasmania Neukölln, Traber FC, Spandauer BC und SV. Hatte irgendwie was. Kaffee und selbstgebackener Kuchen im Presseraum, die Väter parkten den Nachwuchs auf dem neben den Tribünen liegenden Sandkästen, die Kleinen immer in Sichtweite. Zumeist standen die Zuschauer direkt am Spielfeld. Was zu der ein oder anderen Konversation mit den Protagonisten auf dem nicht immer durchgehend grünen Geläuf führte. Es gab Bratwurst und Bier unweit des Rasens. Der himmlische Geruch dieser Kombination stieg einem schon bei der Vorstellung der Teams in die Nase! Zuver­läs­si­ge Indi­ka­toren zum Beispiel für ein Foulspiel waren kna­ckende Schien­bein­schoner und das Geschrei der Ange­hö­rigen des am Boden lie­genden Spie­lers.
An der Seitenlinie sollte es Jürgen Sundermann, Spitzname „Wundermann“, als Trainer richten. Meister. Das klappte. Dann kam der 24. Juni. 15067 Fans im Olympiastadion. Gefühlt war das wie ausverkauft. Euphorie! Es ging gegen den BVL 08 Remscheid. Aufstiegsrunde. Ein Remis hätte schon gereicht. Der Sekt war schon kalt gestellt. Doch dann: 1:3. Vorbei. Was für ein Schock. Damit hatte keiner gerechnet. Rückkehr in Liga 2 verpasst. Noch ein Jahr Onkel-Tom-Straße, Ziegelhof, Sportpark Neukölln oder Trabrennbahn Mariendorf.
Ich dachte, das wäre der ewige Tiefpunkt. Schlimmer geht es nicht. Denkste. Die vergangenen Jahre übertreffen alles bisher erlebte. Erst das unsägliche Schmierentheater um den halbseidenen Investor Lars Windhorst. Jetzt die Provinzposse mit Fredi Bobic, einem einst hochveranlagten Sportmanager, in der Hauptrolle. Der ehemalige Nationalspieler und sein engster Stab wurden direkt nach der Derby-Pleite gegen den 1. FC Union (0:2) rasiert. Ein Rauswurf, geplant und mit allen Gremien abgesprochen. Erklärte Präsident Kay Bernstein: „Das ist keine Kay-Entscheidung und keine Kurzschlussreaktion, sondern wohlüberlegt.“
Dennoch, der Zeitpunkt ist, freundlich ausgedrückt, überraschend. Hertha tanzt auf der Rasierklinge. Finanziell. Sportlich sowieso. Kein Konzept, keine Leidenschaft, keine Punkte: Obwohl mal wieder alles besser werden sollte, taumelt Hertha dem nächsten Abstieg entgegen. Für die Bundesliga spricht nichts mehr – außer einem Funken Hoffnung.
Bobic allein die Schuld zu geben, ist unfair. Er wurde unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Berlin gelockt. Anstatt mit prall gefüllter Geld-Schatulle in die Zukunft zu investieren, musste er Schulden abbauen, Spieler förmlich verhökern, aufgrund der maroden Finanzen neues Personal auf dem Wühltisch einkaufen. Er konnte den Hertha-Dampfer gar nicht auf Kurs bringen. Im Gegenteil. Im Prinzip war er nur damit beschäftigt, Rettungswesten zu verteilen. Doch wie auf der Titanic waren nicht genügend vorhanden, die ihm bei Amtsantritt vollmundig versprochene Kohle dilettantisch verbrannt. Zum Sparen und Sanieren verdammt. Ein Himmelfahrtskommando. Zugegeben: Eine echte Zukunftsvision war nicht zwingend an der Hanns-Braun-Straße zu erkennen. Dass die klamme Kasse nun durch Bobic selbst belastet wird (4 Millionen Gehalt, Vertrag bis 2024), passt ins Bild.
Anspruch und Wirklichkeit. Ich zitiere immer gerne das Glühwürmchen, das als Berufswunsch Flutlicht angibt. Klub-Ikone Andreas „Zecke“ Neuendorf als „Bindeglied“ und Benjamin Wieder als Sportdirektor übernehmen das sinkende Schiff. Sie sollen Hertha „emotional anzünden.“ Beide sind in der großen Fußball-Welt aber nur mit einem eher marginalen Netzwerk ausgestattet. Das neue Motto: Ihr habt keine Chance. Also nutzt sie! „Ein gesundes Miteinander, Loyalität, Vertrauen, Glaubwürdigkeit, mehr Leidenschaft für den Verein“, wünscht sich Bernstein. Er will mehr Hertha-DNA, kämpft gegen aalglattes, abgezocktes, emotionsloses Establishment. „Berliner Weg“ nennt er den „strategischen Kurswechsel.“ Ein hehres Ziel. Dennoch ein sehr idealistisches – fast schon naives – Unterfangen. Profifußball ist knallhartes Buisness. Für Romantik ist da kein Platz. Frisches Geld könnte von „777 Partners“ kommen. Der neue Hoffnungsträger. „Das würde uns auf unserem wirtschaftlichen Konsolidierungskurs helfen.“ Die Finanzfirma aus Miami (Florida), die schon am FC Sevilla, FC Genua, Vasco da Gama, Standard Lüttich, FC Paris und Melbourne Victory Anteile hält, ist bei den Fans in der Ostkurve allerdings mindestens so umstritten, wie der windige Lars. Ähnlich wie im „Modell Red Bull“ könnte Hertha der „Mutterklub“ im weltweiten Netzwerk-Portfolio des US-Investors werden. Auf der Suche nach sich selbst. Quo vadis, Hertha BSC? Wohin gehst du? Ich habe Angst. Fürchte den totalen Absturz. Blau-Weiß, wie lieb ick dir! Aber warum eigentlich? Es ist nicht leicht, Hertha zu mögen. Oder gar zu lieben. Aber ich bin auch dabei, wenn Hertha ganz unten neu anfangen müsste. Wie damals, vor 36 Jahren. In der Oberliga West-Berlins. Treu. Immer Herthaner. Ein Leben lang. Mein Schal gilt für alle Klassen. Mich würde interessieren, ob Bernstein neben mir am Geländer lehnen würde, wenn Hertha in der heutigen Berlin-Liga auf dem Rasenplatz der Sportanlage Staaken-West gegen den FSV Spandauer Kickers um Punkte kämpft. Die Currywurst mit Pommes dort, lieber Kay, ist übrigens überragend.