Ich hatte mir vorgenommen, die WM-Auslosung einfach so zu schauen. Unbeschwert, beinahe nostalgisch.
Ein letzter Abend im Free-TV, bevor im Sommer die große Abo-Choreografie beginnt, bei der man für jedes Gruppenspiel einen anderen Dienst benötigt und am Ende mehr Account-Passwörter besitzt als Momente echter Vorfreude.
Die Welt ist kompliziert geworden. Fußball offenbar auch.
Dann betreten Gianni Infantino und Donald Trump die Bühne. Ein Duo, das aussieht wie der Prototyp einer Reality-Show, die selbst RTL aus ethischen Gründen verworfen hätte.
Infantino lächelt mit der Wärme eines überoptimistischen Kühlschranks. Trump steht daneben wie ein Mann, der Preise grundsätzlich als etwas betrachtet, das aus kosmischer Gerechtigkeit ihm zusteht, egal wer sie ursprünglich bekommen sollte.
Der Friedenspreis – dieses Wort trägt heute eine zynische Reibung – wird Trump überreicht, während selbst die Tauben auf dem Dach des Kennedy Centers laut Berichten in Erwägung gezogen haben sollen, einen Asylantrag zu stellen.
Dann beginnt YMCA. Trump tanzt.
Ein Bewegungsablauf, der wirkt, als kämpfe jemand gegen seine eigene Statik. In jeder Dorfdisko hätte man für diese Performance Prügel bezogen, plus lebenslanges Hausverbot und eine schriftliche Empfehlung, künftig einfach am Rand zu stehen.
Danach die Gruppen. Und wieder dieser Satz: „Glücksgruppe.“ Ich frage mich, wer ihn verbreitet hat. Vermutlich dieselben Menschen, die glauben, ein Yoga-Kurs sei eine Form von Speed-Dating.
Ecuador – Zweiter in der Südamerika-Quali. Sieg gegen Argentinien. Glück klingt anders. Elfenbeinküste – Afrikameister, jung, unerhört dynamisch. Ich sehe Yan Diomande bereits auf Jonathan Tah zulaufen.
Tah wird sich danach wohl kurz hinsetzen müssen, wegen leichter Schwindelgefühle und einem mentalen Neustart. Curaçao – weniger Einwohner als Marzahn-Hellersdorf, ja.
Doch die Spieler – großteils in den Niederlanden ausgebildet – kennen Laufwege, die in Deutschland als Fortbildung gelten müssten.
Und als ob diese Gruppe selbst schon nicht genug Realismus enthalten würde, kommt noch etwas hinzu, über das erstaunlich wenig gesprochen wird:
Die Ticketpreise. Die günstigsten Karten im Fanblock der Nationalmannschaft kosten
- 155 Euro fürs erste Gruppenspiel,
- 190 Euro fürs zweite,
- 230 Euro fürs dritte.
Pro Person.
Ohne Flug, ohne Hotel, ohne Snacks, die wahrscheinlich ebenfalls dynamisch bepreist werden. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man feststellt, dass man den eigenen Sport nicht mehr bezahlen kann, ohne vorher die Kontoauszüge zu sortieren. Währenddessen rechne ich durch, welche Streamingdienste und Decoder ich zusätzlich brauche, um die Spiele überhaupt sehen zu können.
Wahrscheinlich läuft eine Partie exklusiv auf dem WhatsApp-Kanal von Cristiano Ronaldo, eine andere via App, die nur dann funktioniert, wenn man den Nutzungsbedingungen mit bitteren Tränen zustimmt.
Ich frage mich, ob ich mir einen Hedgefonds-Manager leisten sollte, der meine Abos strukturiert, während ich Blut spenden gehe, um sie zu bezahlen. Und dennoch sitze ich da, schaue das alles – Trump, Infantino, YMCA, Ticketpreise, Streaming-Chaos, diese angebliche Glücksgruppe – und fühle eine seltsame Mischung aus Müdigkeit und Zuneigung.
Der Fußball ist mir wichtig.
Vielleicht zu wichtig.
Aber manchmal kommt er mir vor wie ein alter Freund, der plötzlich nur noch im VIP-Bereich sitzt und sagt: „Du findest schon rein, oder?“ Und zum Schluss stelle ich mir dieselbe Frage wie seit Jahren, nur heute deutlicher, fast flüsternd:
Bin ich wirklich der Einzige, der das noch bemerkt?
Bildnachweis: picture alliance / newscom | KEVIN DIETSCH

Ronald Toplak, geboren am 5. Februar 1965 in Berlin, ist seit über 30 Jahren im Sportjournalismus für verschiedene Hauptstadt-Medien tätig. 25 davon als Redakteur beim Berliner Kurier. Er schreibt – nach einer gesundheitlichen Auszeit – nun als freier Autor.
