Sportecho-Reporter Ronald Toplak über wilde Jahre nach dem Mauerfall. Und ein verwehrtes Foto mit Joe Montana.
Manchmal beginnt alles mit einem Geräusch.
Bei mir war es das leise Rauschen eines Röhrenfernsehers Mitte der Achtziger, im Wohnzimmer meiner Eltern in West-Berlin. Die Bundespost hatte gerade ihr Kabel-Versuchsprogramm gestartet, und ein Sender namens Screensport zeigte Dinge, die hier noch niemand kannte: Baseball, Basketball – und diesen eigenartigen Sport mit Helm und Ei.
American Football.
Ich verstand kein Wort – aber wegsehen konnte ich nicht.
Da war dieser Quarterback, Joe Montana, der Bälle warf, als wären es Gebete.
Ich blieb wach, obwohl meine Mutter regelmäßig hereinkam: „Geh endlich schlafen, Junge!“
Ich tat es selten.
Was blieb, war dieses leise Brennen im Inneren: eine Ahnung, dass dieser Sport etwas in mir berührt, das kein anderes konnte.

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Ein paar Jahre später war Berlin im Aufbruch.
Die Mauer gefallen, alles möglich – und plötzlich kam die NFL in die Stadt.
Fünf American Bowls zwischen 1990 und 1994 – kein offizielles Ligaspiel, nur Schaulauf, Glamour und Show – aber für uns ein Versprechen.
Dan Marino, John Elway, und natürlich Joe Montana, mein Idol aus den flimmernden Nächten.
Ich war inzwischen Reporter beim Berliner Kurier, jung, ehrgeizig, voller Respekt und Koffein.
Im Foyer des Hotels dann dieser Moment:
Joe Montana, in Fleisch und Blut.
Neben mir Roman Motzkus, Wide Receiver der Berlin Adler, Passempfänger mit weichen Händen, Berliner Schnauze – in einer anderen Welt hätte Montana ihn bedient, so wie er es mit Jerry Rice tat.
Unser Fotograf beugte sich vor, Montana nickte, Roman grinste – Klick.
Ein Bild, das heute noch bei Roman im Wohnzimmer hängt, eingerahmt wie ein Gemälde.
Ich wollte auch eines. Nur kurz, nur ein Foto mit meinem Idol.
Montana sah mich freundlich an, dann auf die Uhr.
„Excuse me. I really have to go now.“
Und weg war er.
Das Schicksal drückte ab – für Roman.
Für mich war der Film leer.
Ein Stich wie eine höfliche Abfuhr, die man Jahrzehnte später noch spürt.
Immerhin hatte ich meine Geschichte: „Der Superstar trifft den Hauptstadt-Crack“.
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Berlin roch damals nach Aufbruch, Abgasen und nassem Rasen.
Die Giants, 49ers, Dolphins, Broncos – sie alle kamen an die Spree.
Und mit ihnen Dave Brown, Quarterback der New York Giants, der unbedingt einmal einen Trabi fahren wollte.
Er hatte von diesen kleinen Autos gehört, die plötzlich überall standen, wie Spielzeuge aus einer anderen Welt.
Ich organisierte einen.
Heidi Hetzer brachte ihn persönlich vorbei, direkt vor das Interconti, wo die Giants logierten.
Brown, fast zwei Meter groß, versuchte sich hineinzuzwängen: Knie gegen Lenkrad, Schultern am Dach, Helm fast draußen.
Er schwitzte, lachte, hupte – und fuhr los. 200 Meter, jubelnd, strahlend.
Ein NFL-Gigant im Trabant.
Ein Moment, wie ihn nur Berlin kennt: absurd, herzlich, ein bisschen surreal.
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Die Nächte im Picker’s, Uhlandstraße, waren unser Epizentrum.
Von meinem Arbeitgeber Berliner Kurier gesponsert. Stefan Mücke, Ex-Adler, war der Gastgeber in seiner frisch eröffneten Sportsbar. Zusammen hatten wir beschlossen, Superbowl-Partys in Berlin zu starten – ein Ort, an dem Football lebendig wurde.

Kein Hinterzimmer, kein Provisorium – schnell Kult!
Niko Kovač, damals noch Hertha BSC, Wendell Alexis von Alba, Sven Felski von den Eisbären – sie saßen an der Bar, lachten, bestellten Burger und Cola.
Fußballer, Basketballer, Eishockeyspieler, Handballer, Volleyballer – alle unter einem Dach, alle mit dem Gefühl, Teil von etwas Neuem zu sein.
Berlin atmete Football.
Wir waren Pioniere.
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Dann kam NFL Europe.
Wir waren in Frankfurt, beim World Bowl, als wir über Manfred Burgsmüller sprachen – den Ex-Fußballer, der in Düsseldorf plötzlich Kicker bei Rhein Fire wurde.
Ich scherzte:
„Wenn Burgsmüller in Düsseldorf kickt – warum nicht Axel Kruse in Berlin?“
Erst Gelächter.
Dann Schlagzeile.
Dann Anruf.
Kruse am Telefon, irritiert: „Was soll das denn? Tun die mir weh?“
Wir beruhigten ihn. Ein paar Wochen später trat er tatsächlich für Berlin Thunder an.
Eine Schnapsidee, die Wirklichkeit wurde.
Berlin eben: frech, laut, manchmal genial.
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Und jetzt, 9. November 2025.
Wieder Football in Berlin.
Indianapolis Colts gegen Atlanta Falcons, das erste reguläre NFL-Spiel im Olympiastadion.
Roger Goodell, damals in den 90ern ein junger NFL-Mitarbeiter, ist heute Commissioner.
Und Roman Motzkus, mein alter Foyer-Gefährte, interviewt ihn für DAZN. Er will ihm sein Foto zeigen. Mit Montana.
Über dreißig Jahre später.
Der Kreis schließt sich.
Für ihn. Für mich. Für uns, die damals glaubten, Football sei nur ein ferner Traum auf einem flimmernden Kabelkanal.
Ich bin diesmal nur Zuschauer.
Unter 70.000 Fans.
Eine Million wollten Tickets – ich habe eines.
Und während Roman unten am Spielfeldrand steht, denke ich an Montana, an Brown, an Kruse, an die Nächte im Picker’s.
Und diesmal wird es wieder ein Klick geben.
Kein Fotograf, kein Reporter.
Nur ich. Mein Smartphone.
Mein Selfie für die Ewigkeit.
Im Stadion, das endlich Teil der Geschichte ist, die wir damals zu träumen begannen.

Ronald Toplak, geboren am 5. Februar 1965 in Berlin, ist seit über 30 Jahren im Sportjournalismus für verschiedene Hauptstadt-Medien tätig. 25 davon als Redakteur beim Berliner Kurier. Er schreibt – nach einer gesundheitlichen Auszeit – nun als freier Autor.
