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Special Olympics: Wo nur der Mensch zählt!

Eine Geschichte von Hockey, Herz und dem, was wirklich zählt. Landesspiele Special Olympics Berlin 2025.

Annika steht auf dem Platz und schaut auf ihren Schläger, als wäre der eben vom Himmel gefallen. Die Sonne knallt auf den Kunstrasen, irgendwo in Berlin pfeift ein Schiedsrichter ins Leere. Ein Junge im gegnerischen Team winkt seiner Oma, mitten im Spiel. Die Szene hat mehr von einem Kindergeburtstag als von einem Turnier. Und doch ist alles ernst gemeint. Herzlich ernst.

Special Olympics, Landesspiele 2025 in Berlin und Potsdam. Hier geht’s nicht um Medaillen. Hier geht’s ums Dabeisein. Um Stolz. Um Augenhöhe. Um Würde. Und manchmal auch um klebrige Müsliriegel in Trikottaschen.

Annika spielt Hockey. Nicht besonders schnell, nicht besonders taktisch. Aber mit allem, was sie hat: Lachen, Neugier, Kampfgeist. Sie ist 13, hat eine Lernbehinderung, und ist – wie ihr Vater sagt – „ein Feuerwerk mit eigener Dramaturgie“. Auf dem Spielfeld ist sie manchmal verloren, manchmal genial, und meistens irgendwas dazwischen.

Dominik, so heißt ihr Papa, ist der Trainer. Autodidakt, also jemand, der sich alles selber beibringt – auch das Verlieren mit Würde. Er arbeitet bei Siemens, heute ist er vor allem eins: emotionaler Knotenpunkt einer wuselnden Hockeytruppe. Wenn er pfeift, sortieren sich elf chaotische Lebensfreude-Kanonen in sowas wie eine Formation. Meistens.

Seine Hauptaufgabe ist nicht das Technische. Ist ihm auch egal: „Hockey ist Fußball mit Schlägern!“ Dafür ist er viel zu weichherzig. Seine Spezialität: Motivationsansprachen mit schrägem Humor und eine Engelsgeduld, wenn jemand zum vierten Mal fragt, auf welches Tor wir eigentlich spielen. Er macht das ehrenamtlich, weil es ihm wichtig ist. Und weil man ihn gefragt hat. Einfach so. „Willst du Trainer sein?“ – „Klar.“ Fertig.

Simone, Annikas Mutter, ist die stille Kraft im Hintergrund. Die mit der Brotdose, dem Zeitplan und der Pflasterbox. Ohne sie gäbe es keine Fahrt zum Turnier, keinen Überblick, keine Ordnung im Chaos. Sie ist die, die den Überblick behält, wenn Dominik sich mal wieder verquatscht und Amelie (die große Schwester) auf der Tribüne neue Freundschaften mit völlig Fremden schließt.

Amelie ist 15 und der inoffizielle Glücksbringer der Mannschaft. Sie verteilt Umarmungen wie andere Leute Gummibärchen. Auch das gehört zu den Special Olympics: Jeder gehört dazu. Jeder ist wichtig. Auch die, die gar nicht mitspielen.

Herz-Kino. Da setzte sich sogar Olaf Scholz in die erste Reihe. Der ehemalige Bundeskanzler bekam Dinge zu sehen, die dem politischen Berlin gut zu Gesicht stehen würden.

Olal Scholz zu Besuch bei den Special Olympics

Liebe. Leidenschaft. Harmonie. Zusammenhalt. Wir-Gefühl. 

Amelie steht am Rand des Spielfelds, die Hände zu Fäusten geballt, als wolle sie den Ball selbst ins Tor schreien. Ihre Stimme ist rau vom Rufen, das Haar weht im Wind. Sie ruft nicht irgendwen an – sie ruft Annika. Ihre Schwester. Ihre bessere Hälfte, seit sie denken kann.

Annika läuft, kämpft, stolpert, rappelt sich auf. Und immer wieder Amelies Stimme. Ein Feuer, das treibt. Keine neutrale Unterstützung, kein sportlicher Beifall – es ist ein Bekenntnis. „Du schaffst das!“, ruft sie, aber es klingt, als würde sie sich selbst meinen. Oder etwas viel Größeres. Etwas, das zurückreicht bis in die Kinderzimmernächte, in denen sie sich Geschichten erzählten, um sich vor der Dunkelheit zu retten.

Der Ball springt ab, Annika sprintet los. Und Amelie springt mit – innerlich. Sie läuft mit jeder Faser, als hätte sie vergessen, dass sie draußen steht, dass sie zusieht. Es ist dieser Bund zwischen Schwestern, der nicht durch Worte erklärt werden kann. Nur durch Blicke, durch Sekunden, durch das Wissen, dass man nie allein ist, wenn die andere da ist.

Ein Tor fällt. Nicht von Annika geschossen, aber das zählt jetzt nicht. Amelie klatscht, als hätte Annika es persönlich für sie gemacht. Als wäre dieses Spiel ein gemeinsames Werk. Zwei Körper, eine Geschichte.

Und in diesem Moment ist alles da: Kindheit, Nähe, Streit, Versöhnung, Leben. Amelie feuert Annika an – aber sie feuert auch sich selbst an, das Band, das sie hält, das unsichtbar und stärker ist als jedes Netz.

Und Annika? Sie dreht sich einmal kurz zum Spielfeldrand, sieht ihre Schwester, und nickt. Ganz leicht nur. Aber das reicht.

Das Turnier läuft. Es wird geschwitzt, gestritten, gejubelt. Annika trifft kein Tor, aber dafür trifft sie mitten ins Herz ihrer Mitspielerin, als sie sie auf dem Feld umarmt, weil die nach einem Fehlpass in Tränen ausbricht. „Ist doch egal, du bist trotzdem gut.“ Und das sagt sie mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre das die eigentliche Aufgabe beim Hockeyspielen.

Und vielleicht ist es das auch.

Die Special Olympics sind keine Olympischen Spiele zweiter Klasse. Sie sind ein eigenes Universum. Eines, in dem nicht das Gewinnen zählt, sondern das Mitmachen. Das Über-sich-Hinauswachsen. Das Gemeinsam. Für viele ist das hier der einzige Ort, wo sie nicht verglichen, bewertet, übersehen werden. Und das macht ausgerechnet diese Spiele zu etwas sehr Besonderem.

Ohne Ehrenamt? Wäre hier nichts los. Keine Trikots, keine Spiele, keine Begeisterung. Alles läuft, weil Menschen wie Dominik ihre Wochenenden opfern, ihre Nerven, ihre Schlafroutine. Und weil sie etwas zurückbekommen, das unbezahlbar ist: den Moment, wenn ein Kind mit Behinderung ein Tor schießt, sich selbst überrascht – und die ganze Welt umarmt. 

Die Special Olympics sind der einzige Ort, an dem man Letzter werden kann und trotzdem gefeiert wird.

Weil hier keiner lacht, wenn du stolperst.

Weil du nicht verlieren kannst, wenn du überhaupt erst den Mut hast, mitzumachen.

Das ist der Unterschied zu allem anderen.

Hier geht es nicht ums Bessersein.

Sondern ums Dabeisein.

Nicht ums Besiegen.

Sondern ums Mitnehmen.

Nicht um Rekorde.

Sondern um Menschen.

Dominik sagt später im Auto:

„Weißt du, wenn alle gewinnen könnten, wär’s ja langweilig.“ Annikas sagt:

„Aber ich hab doch gar nicht gewonnen.“

„Doch“, sagt er.

„Du warst dabei.“

Sie schaut aus dem Fenster. Dann sagt sie:

„Ich glaub, das ist das Gegenteil von Verlieren.“

Und zum ersten Mal an diesem langen, heißen Tag sagt keiner mehr was.

Weil alles gesagt ist. Fast. Denn das Schlusswort gebührt der Mama: „Wir sind so stolz auf das, was Annika geschafft hat und was unsere Familie einfach ausmacht. Zusammenhalt. Freude an dem, was wir bei den Special Olympics erleben dürfen und wofür all die Mühe es wert ist.“