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Der Tiger faucht nicht mehr. Gerland hört auf!

Hermann Gerland war nie Weltmeister. Aber er formte welche. Er war Maßstab. Für Redlichkeit. Für Arbeit. Für Fußball ohne Filter. Jetzt ist Schluss. Reporter Ronald Toplak über einen Kult-Trainer: „Ich war gerne dabei. Aber ich bin auch gerne weg.“

Café Caspar. Oase des Boulevards. Schmelztiegel der Redaktionen. Keimzelle so mancher Schlagzeile. Alle waren da. Damals. In den 90igern. Ich stand an der Bar neben Hermann Gerland. Er war Trainer bei Tennis Borussia, ambitionierter Klub aus der Hauptstadt. Wir quatschten. Nicht über Fußball. Sondern über den Trabrennsport. Seiner heimlichen Leidenschaft. Sulky statt Porsche. Das passte. Damals nannte man mich den Pferdekökel, weil ich beruflich Dauergast in Mariendorf war.

Plötzlich schob er seinen Whisky beiseite. Die Miene verfinsterte sich. „Pass mal auf, junger Mann …“.  Ich weiß gar nicht mehr, was ich gesagt habe. Aber er kanzelte mich ab. Sowas von. Zuvor hatte ich so etwas nur im Direktorenzimmer meiner Schule erlebt. Eine Backpfeife nach der anderen. Rumms! Paff! Peng! Sein Lispeln klingt mir immer noch im Ohr. Das hatte ich nicht kommen sehen.

Lila-weiß! Ich kassierte sozusagen ein verbales Veilchen. Der Tiger, so sein Spitzname, fauchte. Fürchterlich. Angsteinflößend. Ich, das personifizierte Großmaul, plötzlich ganz kleinlaut. Egal, bei einem wie ihm schnurrt sogar Uli Hoeneß wie ein Kätzchen. Denke ich im Rückblick. 

Bayern München. Eine Szene, wie sie sich täglich abspielte. Klappe. Film ab.

Gerland sitzt auf der Tribüne des Trainingsplatzes an der Säbener Straße. Die Sonne fällt flach durch die Bäume, das Gras ist akkurat geschnitten wie immer, aber Hermann ist das egal. Er schaut. Mit diesem Blick, der mehr wiegt als jede Statistik. Der Blick eines Mannes, der nicht an Glanz glaubt, sondern an Arbeit.

Er trägt eine alte Bayern-Jacke, etwas zu groß, die Schultern hängen, als hätte er nie etwas anderes getragen. Wahrscheinlich stimmt das auch. Seit Jahrzehnten ist er hier, irgendwann Institution. Und obwohl er alles kennt, bleibt er ein Fremder im Zirkus. Einer, der dazugehört, aber nicht mitmacht. „Ich brauch keine Bühne“, hat er mal gesagt, „mir reicht das Flutlicht, wenn’s angeht.“

Hermann Gerland ist kein Star, aber er hat sie gemacht. Schweinsteiger, Lahm, Müller – sie nennen ihn Ziehvater. Nicht, weil er sie gestreichelt hat, sondern weil er sie angeschrien hat, wenn’s nötig war. Und manchmal war es oft nötig.

Er mochte keine Ausreden, keine aufgepumpten Egos, kein Theater. Dafür mochte er Ehrgeiz. Den echten. Den, der morgens um acht schon auf dem Platz steht, während andere noch überlegen, welchen Hoodie sie anziehen.

 „Wenn du hier was willst, dann zeig’s mir. Nicht Instagram.“

So klingt Gerland. Klare Kante, keine Floskel. In einer Welt, in der alle PR sprechen, spricht er Mensch. Ein bisschen ruppig vielleicht. Aber ehrlich. Und das ist selten geworden

Manchmal sagen Leute: Der Hermann, der könnte auch Kumpel sein. Einer für ein Bier nach dem Spiel. Stimmt. Aber wehe, du trinkst vorher. Dann gibt’s Ärger. Weil Hermann weiß, was Disziplin heißt. Nicht aus Büchern, sondern aus Bochum. Da kommt er her. Malochermentalität. Wenn du fällst, dann steh auf. Wenn du gewinnst, bleib bescheiden.

Er hat nie ein Interview gesucht. Und doch fragen sie ihn immer wieder. Warum? Weil er was zu sagen hat. Und weil er es so sagt, dass es hängenbleibt. Nicht weil es laut ist. Sondern weil es wahr ist.

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„Ich will keine Stars. Ich will Kerle.“

Heute trainiert er keine Profis mehr im Klub. Aber manchmal steht er noch da. Schaut zu. Nimmt Maß. Vielleicht sieht er einen, der was hat. Nicht Talent – das haben viele. Sondern Haltung. Die haben wenige.

Und wenn er einen sieht, dann geht er vielleicht hin, legt den Arm um ihn, drückt leicht zu. So wie früher. Und sagt: „Pass auf, Junge. Jetzt wird’s ernst.“

Und dann weiß man: Jetzt kommt was. Kein Applaus. Kein Geschenk. Nur Arbeit. Aber vielleicht auch Zukunft.

Denn Hermann Gerland ist Kult, weil er kein Kult sein will. Er ist der Tiger im Schatten. Ohne Krone. Aber mit Rückgrat. Und das reicht. Manchmal braucht es keine Trainer mehr. Nur ein Gesicht am Rand, das sagt: Ich seh dich. Und ich weiß, ob du’s ernst meinst.

Warum ich Ihnen das alles erzähle? Gerade erst ist er Vizeeuropameister mit den deutschen U21-Junioren geworden. Als Co-Trainer. Er lächelt verhalten. Nicht wegen der Medaille. Sondern, weil er’s noch mal gespürt hat: Das Kribbeln. Den Rhythmus des Spiels. Den Geruch von Gras und Schweiß und Hoffnung. Und dann – sagt er: „Jetzt ist Schluss.“ Mit 71 Jahren. Nach fast einem halben Jahrhundert Fußball. Aber nicht irgendein Fußball. Sondern der, der weh tut. Der echt ist. Der was kostet. „Ich hab alles erlebt. Jetzt können mal die Jüngeren machen.“

Ein Satz, wie nur er ihn sagen kann: groß und bescheiden zugleich. Dass er nun aufhört, fühlt sich an wie das Ende einer Zeit, die es schon lange nicht mehr gibt. Einer Zeit, in der es noch um Haltung ging, bevor man eine Haltung postete. Hermann Gerland war nie modern – aber immer aktuell. Er hat Spieler nicht nur besser gemacht. Sondern auch größer. Weil er sie klein gemacht hat, wenn sie’s brauchten. Ohne Show. Ohne Rhetorik. Einfach durch Anwesenheit. Thomas Müller hat mal gesagt, „Wenn der Tiger einen Blick hatte – dann hast du gespurt.“

Aus. Vorbei. Ende. Ab sofort nur noch Pferde. Rennbahn. Stall. Hier und da schottische Elektrolyt-Getränke. Ruhestand. Es sei ihm gegönnt. Seine Tiere stehen irgendwo in der Nähe von Bielefeld. Hat er mir erzählt. Sein Engagement im Eichkamp hinterließ bei mir  bleibenden Eindruck. Ich trage sein wortgewaltiges Veilchen wie eine Trophäe. In meinem Herzen. Gerland ist ein Typ mit Ecken und Kanten. Ein Typ wie Berlin. Hart. Herzlich. Ungeschminkt. Loyal wie Beton. Ein Typ, der fehlen wird. Im geschniegelten Hochglanz-Business Profi-Fußball. Schade!

Bildnachweis: picture alliance / DeFodi Images | Marco Steinbrenner